Simone Lappert: Der Sprung

Der Vorplatz lag bereits in der Dämmerung, als die junge Frau mit dem kaputten Handy das Lokal betrat. Offenbar hatte man ihr helfen können, sie tippte und strich derart geschäftig auf dem Bildschirm herum, dass sie nicht einmal aufschaute, als Roswitha zu ihr an den Tisch trat.
„Latte macchiato, bitte!, sagte die junge Frau.
Roswitha verschränkte die Arme vor der Brust. „Kannst du haben“, sagte sie, „kostet aber 25 Euro.“
Die junge Frau schaute verdutzt von ihrem Handy auf.
„Wieso das denn? schäumt die Kuh die Milch am Tisch, oder was?“
„Nö“, sagte Roswitha, „aber so viel kostet ein Taxi von hier zu Starbucks, wo sie so was machen. Und dann wieder zurück hierher. Das Getränk ist da natürlich schon mitgerechnet.“
Die Frau verdrehte die Augen. „Gibt’s hier wenigstens W-Lan?“
„So weit kommt’s noch“, sagte Roswitha. Sie blieb vor der armen Frau stehen und fixierte sie so lange, bis diese schließlich nach ihrer Handtasche griff und sich davonmachte.
„Hast du nicht neulich erst mit deinem Glasfaser-W-Lan geprahlt, sagte Egon, nachdem die Frau durch die Drehtür verschwunden war.
„Mein W-Lan ist nichts im Vergleich zu dem Schaum auf meinen Latte macchiatos“, sagte Roswitha. „Aber hallo sagen und in die Augen schauen, das muss drinliegen, sonst schrumpft mein Sortiment schlagartig zusammen.“
Egon lehnte sich zurück und sah Roswitha nach. Was für eine Frau. Irgendwann würde er sie fragen, ob sie mit ihm ausgehen wolle. Irgendwann, wenn ein Wunder passieren und er den Mut dazu aufbringen würde.

Simone Lappert, geboren 1985 in Aarau in der Schweiz, studierte am Schweizerischen Literaturinstitut in Biel. 2014 erschien ihr Debütroman „Wurfschatten“.

Simone Lappert: Der Sprung. Diogenes 2019. 22€