Maria Hofer: Arsen

Die Leute vom Land sind schon hunderte Jahre auf die Befriedigung von Urlauberbedürfnissen konditioniert. Nie soll der Urlauber sich als Gast fühlen. Immer soll der Urlauber sich als organischer Teil des authentischen Landlebens fühlen. Als Servicekräfte bringen die Landbewohner den Touristen jagen und Volkstanz bei, unternehmen riskante Bergtouren, erzählen alte chauvinistische Sagen mit authentischer Kernigkeit – alles das eine Essenz dessen, was die Stadtbewohner als „das Österreichische an sich“ imaginieren. Und die Landbewohner haben dazu entweder mehr kritische Distanz als die Stadtbewohner sich das jemals ausdenken können und sehen das mit einer zynischen Distanz, oder eben nicht. Und performen den Almöhi, bis sie es sich im schlimmsten Fall selbst glauben und wegen einer selbst antrainierten und nie erreichbaren Idealvorstellung vom Landleben Depressionen bekommen und sich umbringen irgendwann, weil ihr eigenes Leben nicht so edel ist, wie sie es darstellen, wie sie es als Kindheitserinnerung erfinden. Ihr Leben wird eine Unmöglichkeit. Manche werden auch deswegen Blut-und-Boden-Nazis, weil sie wegen dem ganzen Authentikblabla glauben, ihnen wurde von der modernen Welt etwas weggenommen, das sie nur wiedererlangen, wenn sie alles, was von ihrer Idealphantasie abweicht, ausrotten, und damit auch ihre Unzulänglichkeitsgefühle, ihre Selbstzweifel, ihre Wut. Weil sie eben nicht in Häusern leben, die sie permanent an ihre edle, reinblütige Herkunft erinnern, sondern in ganz normalen Einfamilienhausnachbarschaften auf Feldern, die irgendein Immobilienentwickler von verzweifelten Bauern abgekauft hat und dort halbherzige Häuser gebaut hat. Mit großzügiger, aber irgendwie auch unwürdiger Wohnfläche. Einzelteile, die gleich austauschbar sind wie alle Episoden der eigenen Lebensgeschichte, gleich austauschbar wie die eigene Arbeitskraft. Daraus resultiert ein Schmerz, den eigentlich alle Leute mehr oder weniger kennen, aber die Leute vom Land macht es noch fertiger, weil sie in der Dauerpräsenz von subtil omnipräsenter Althergebrachtheit leben müssen. Natur, die mit Funktion, Wirkstoffen, Zweckmäßigkeit und Schönheit aufgeladen wird. Dinge und Gebäude, die mit Anekdoten und historischen Fakten angereichert werden. Felsen, Berge, Wälder und Gräser, die zu Sagen verwurstet werden, um Leuten den Unterschied zwischen „gut“ und „schlecht“ nachvollziehbar zu machen. Daraus resultieren dann Mythen, die ein normales Leben im Vergleich dazu wegen seiner eindimensionalen Banalität nur scheitern lassen können. Deswegen ziehen in Wirklichkeit so viele junge Leute in irgendeine Stadt und nicht weil dort das Kulturangebot so reichhaltig ist und das Donauwasser in den Hitzesommern so schön im Ohr juckt.

Maria Hofer, 1987 in der Steiermark geboren, studierte Germanistik und Kunstgeschichte in Wien. Sie veröffentlichte u. a. Reportagen im VICEMagazin, literarische Texte in The Gap und im SORT-Magazin. 2017 sorgte sie mit dem Reisetagebuch über einen Marokko-Urlaub für Furore. Ihr Debütroman Jauche (Dahimène Edition) erschien 2015. Für Arsen erhielt sie den Literaturpreis „Schreiberei“ der Steiermärkischen Sparkasse 2023.

Maria Hofer: Arsen. Leykam Buchverlag, Graz 2023. 24 €