Alex Schulman: Die Überlebenden
Benjamin blieb als einziger sitzen und wachte über seinen schlafenden Vater. Der Tag verging, und es wurde früh dunkel, im Zimmer wurde es dämmrig, unter der Tür war ein warmer gelber Streifen zu sehen, mit schwarzen Schatten, die vorbeizogen, wenn draußen jemand entlangging. Papa erwachte erst Stunden später wieder, richtete sich auf und bat um Erdbeersirup. Den ganzen Abend saßen sie zusammen, und draußen vor dem Fenster fiel ein sanfter Regen. Vielleicht hätte er dieses letzte Gespräch besser nutzen können. Natürlich gab es Dinge, die Benjamin im Nachhinein gern gesagt oder Fragen, die er gerne noch gestellt hätte. Erinnerungen, die zu sortieren er Hilfe gebraucht hätte, Dinge, die er seinen Vater vor langer Zeit hatte tun oder sagen hören und die er immer noch nicht begriffen hatte. Doch sie redeten nicht über Dinge, die passiert waren, das hatten sie noch nie getan, weil keiner von ihnen wusste, wie das ging, und vielleicht war es auch nicht nötig, vielleicht war dieses Schweigen das Schönste, was sie gemeinsam erleben konnten, denn da waren nur sie beide, Benjamin und sein Vater, Mama war nicht da, und sie waren frei und rein, außerhalb ihres Kraftfelds, wie zwei Häftlinge, denen es gelungen war, auszubrechen, und die sich jetzt von der Flucht erholten und gemeinsam vom Schweigen kosteten. Sie redeten nicht, nicht richtig, aber vielleicht waren sie dennoch glücklich an diesem Tag, wenn sie sich im Zimmer umblickten, und manchmal trafen sich ihre Blicke und sie lächelten einander an.
Alex Schulman wurde 1976 in Hemmesdynge geboren, sein Memoir ›Glöm mig‹ wurde in Schweden 2017 zum Buch des Jahres gekürt. ›Die Überlebenden‹ ist sein erster Roman, von der schwedischen Presse gefeiert, stand er wochenlang auf Platz 1 der Bestsellerliste.
Alex Schulman: Die Überlebenden. Aus dem Schwedischen von Hanna Granz. dtv Verlag. 22 €