Andrej Stasiuk: Die Welt hinter Dukla

Mitsommer, Vorgebirge. Die Morgendämmerung holt tief Luft, und jedes Ausatmen ist heller. Eine Stunde noch wird man sich das Leben anderer Menschen vorstellen können. Die tote Zeit, da die Welt langsam sichtbar wird, aber unbevölkert ist. Das Licht hat die Farbe geschmolzenen Silbers. Es ist schwer. Es zerläuft am Horizont, doch beleuchtet die Welt nicht. Hier herrscht noch immer Halbdunkel und Mutmaßung, die Dinge sind kaum ihr eigener Schatten. Der Himmel schwillt vor Glanz, doch der Glanz bleibt in ihm gefangen wie Luft in einem Luftballon. Sie liegen in ihren Häusern, und die Geschichte eines jeden könnte sich in beliebiger Richtung entwickeln, gäbe es nicht das Schicksal, das unter demselben Dach wohnt und eine bestimmte Zahl von Möglichkeiten bereithält, ohne sich etwas zu vergeben.

Andrzej Stasiuk, der in Polen als wichtigster Gegenwartsautor gilt, wurde 1960 in Warschau geboren, debütierte 1992 mit dem Erzählband Mury Hebronu (Die Mauer von Hebron), in dem er über seine Gewalterfahrung im Gefängnis schreibt. Stasiuk wurde 1980 zur Armee eingezogen, desertierte nach neun Monaten und verbüßte seine Strafe in Militär- und Zivilgefängnissen. 1986 zog er nach Czarne, ein Bergdorf in den Beskiden. Sein vielfach ausgezeichnetes Werk erscheint in 30 Ländern. 2016 wurde er mit dem Staatspreis für europäische Literatur 2016 ausgezeichnet. Mitte März 2023 wird sein neuer Roman Grenzfahrt im Suhrkamp Verlag erscheinen.

Andrzej Stasiuk: Die Welt hinter Dukla. Aus dem Polnischen von Olaf Kühn. Suhrkamp, Berlin 2002/2017. 9,99 €