C Pam Zhang: Wo Milch und Honig fließen

In den frühen Morgenstunden fuhr ich in einem unauffälligen schwarzen Auto auf den Berg. Es blies ein scharfer Wind, und obwohl es in dieser Höhe keinen Smog gab, war die Atmosphäre trostlos. Felsen zeichneten düstere Warnungen in die Nacht. Hin und wieder tauchte bedrohlich ein Anwesen auf und verschwand wieder, ein kurzes Aufblitzen hoher, kalter Mauern, die unverkennbar abweisen wirkten – ein Eindruck, der sich später bestätigte, denn in die Häuser und das Privatleben der Investoren sollte ich nie Einblick erhalten. Mein Teil des Berges beschränkte sich auf Hitze und Arbeit, weiche Haut und harten Salzgeschmack.
Die Felder neben der Straße waren welk und tot. Nirgendwo ein Anzeichen von Frühling, trotz all der grandiosen Vorhaben meines Arbeitgebers. Als ich die Bergspitze erreichte, hatte ich meine Erwartungen schon auf getrocknete Kräuter heruntergeschraubt.

Das Restaurant am Gipfel stand als massiger, dunkler Klotz vor dem ebenso dunklen Himmel. Kein Fenster durchbrach die Monotonie der Wände. Auf der Rückseite stürzte eine Felswand jäh in die Tiefe, und vor dem Haus erstreckte sich eine große, aber matschige Wiese. Drinnen war kein Licht, die Tür verschlossen, niemand öffnete. Zitternd und verwirrt stand ich da, während der Himmel langsam hell wurde.
Endlich ging mit einem Klicken die Tür auf. Ich trat ein, und die Sonne erschien über dem Berg.
Erst viel später wurde mir klar, dass er diesen Moment exakt geplant hatte, mein Arbeitgeber besaß einen Hang zur Dramatik – ein Mann, der sein Land mit der Arroganz eines Propheten benannt hatte. Das Licht war überwältigend, überirdisch, ein weiß glühender Schuss zwischen die Augen. Durch die Finger sah ich die dunklen Wände lavendelfarben, orange, rosa aufleuchten. Das Restaurant bestand aus Spiegelglas, von außen blickdicht, von innen durchsichtig, so dass es an diesem ersten Morgen wirkte, als wären da keine Wände, keine Fenster, keine Türen, nur ich selbst, schwebend in Himmel, Himmel, Himmel, Himmel, Himmel. Als wäre ich durch die tiefen Jahre des Smogs gereist, um jetzt herauszutreten in diesen Würfel aus Licht.

C Pam Zhang wurde 1990 in Peking geboren, ist aber hauptsächlich ein Kind der Vereinigten Staaten. Ihre Literatur erschien u. a. in Harper’s Bazaar, in der New York Times und im New Yorker, ihr Debütroman Wie viel von diesen Hügeln ist Gold war ein internationaler Bestseller und stand u. a. auf der Longlist des Booker Prize. Zhang wurde mit zahlreichen Stipendien ausgezeichnet.

C Pam Zhang: Wo Milch und Honig fließen. Aus dem Englischen von Eva Regul. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2023. 24 €