Fatma Aydemir: Dschinns
Und so gingen sie los, ihre endlosen Gespräche. Das Elternhaus. Jedes Mal wenn Dr. Schumann das Elternhaus sagte, ständig also, ununterbrochen, fragte sich Ümit, ob Dr. Schumann sich eigentlich nicht denken konnte, dass seine Eltern gar kein Haus besaßen, dass sie natürlich in einer Mietwohnung lebten? Bestimmt, stellte Ümit sich vor, hätte Dr. Schumann dazu gesagt, dass es nicht um das konkrete Gebäude ging, die Wände, das Dach, sondern darum, was unter diesem Dach passierte. Aber trotzdem sah Ümit irgendwie eine Verbindung zwischen dem Gedanken, jeder lebe in einem eigenen Haus, und diesem komischen Wort Elternhaus. Wenn man aus gutem Hause stammen sagte, meinte man dann nicht auch den Reichtum, den es bedeutete, ein Haus zu besitzen? Meinte man damit nicht diese netten Fachwerkhäuser auf den Aquarellen an Dr. Schumanns Wand?
Bei Dr. Schumanns Fragen ging es aber nie um Geld. Sondern immer nur um Kindheit, Religion, Kultur – alles Dinge, fragte sich Ümit, die doch wohl gerade nicht mit Geld zu tun hatten, oder doch? Die Stunden wurden zu einer ewigen Suche nach Fehlern in Ümits Leben. Und die Sache war: Wer sucht, wird früher oder später fündig. Nach ein paar Donnerstagen konnte Ümit sich nicht mehr vorstellen, dass irgendwer da draußen herumlief, der nicht unter seiner Kindheit litt, unter seiner Kultur, unter dieser Welt.
Fatma Aydemir wurde 1986 in Karlsruhe geboren. Sie lebt in Berlin und ist Kolumnistin und Redakteurin bei der taz. Im Hanser Verlag erschien 2017 ihr Debütroman Ellbogen, für den sie den Klaus-Michael-Kühne-Preis und den Franz-Hessel-Preis erhielt. 2019 war sie gemeinsam mit Hengameh Yaghoobifarah Herausgeberin der Anthologie Eure Heimat ist unser Albtraum. Ihr zweiter Roman Dschinns wurde mit dem Robert-Gernhardt-Preis ausgezeichnet.
Fatma Aydemir: Dschinns. Hanser Verlag, München 2022. 24 €