Jens Wonneberger: Flug der Flamingos
Also zuerst den Kaffee, alle Tassen im Schrank, aber welche denn zur Abwechslung heute? So viele Möglichkeiten und dann doch meist Katharinas Lieblingstasse, die flamingofarbene, die ich immer etwas kitschig fand, und dann mit den Lippen an jene Stelle, wo einst Katharinas Lippen… wie heiß die Stelle noch immer war. Ich saß also auf der Bank, rauchte, trank Kaffee und musste an Rimböck denken. Aber ich wollte dabei nicht an Rimböck denken. Rimböck war nicht zu sehen, aber er drängte sich mir gerade dadurch auf. Schon allein sein Name! Wer heißt schon Rimböck? Der Name, dachte ich manchmal, taugt doch eher als Maßeinheit für Ärger und Unaannehmlichkeiten aller Art, schlechtes Wetter war mir egal, aber kalter Kaffee – ein Rimböck, die steigenden Zigarettenpreise – zwei Rimböck, mindestens, und dann immer so weiter, ein sorgfältiges ausgedachtes Punktesystem der Verdrießlichkeit, eine nach oben offene Unheilskala. Gesprochen hatte ich noch nie mit ihm, und wenn wir uns zufällig in der Stadt trafen, benühte sich jeder, den Anschein zu erwecken, den anderen nicht zu bemerken.
Jens Wonneberger geboren 1960, lebt in Dresden. Seit 1992 freiberuflicher Autor und Redakteur. Zuletzt erschienen im Müry Salzmann Verlag Goetheallee (2014), Himmelreich (2015), Sprich oder stirb (2017) und Mission Pflaumenbaum (2019), das 2020 für den Deutschen Buchpreis nominiert war.
Jens Wonneberger: Flug der Flamingos. Müry Salzmann Verlag 2021. 19 €