Katharina Mevissen: Ich kann dich hören
Ich lehne im Rahmen der geschlossenen Flügeltür, und über die Hinterköpfe der Leute hinweg beobachte ich Yokos Gesicht, während sie eine Sonate von Chopin spielt. Ihr Gesicht ist still wie ein See, fast regungslos. Yoko sieht am Cello so aus, wie viele Menschen sich das wohl vorstellen. Romantisch, konzentriert. Geschlossene Augen, zwischendurch ein Seufzer. Im Gesicht Anmut, in den Fingern Präzision. Die Leute könnten glauben, das sei alles Leichtigkeit, oder doch wenigstens eine große Leidenschaft, ein leiser, schöner Schmerz. Sie würden nicht glauben, dass Musik ein Biest sein kann, das dich von innen drangsaliert und keinen Ton in dir übrig lässt.
Katharina Mevissen ist bei Aachen aufgewachsen. An der Universität Bremen hat sie Kulturwissenschaft und transnationale Literaturwissenschaft studiert. Heute lebt und arbeitet sie als freie Autorin in Berlin, und leitet die von ihr mitgegründete gebärdensprachliche Literaturinitiative »handverlesen«.