Michel Ondaatje: Kriegslicht
So begannen wir ein neues Leben. Damals glaubte ich es nicht so recht. Und ich frage mich immer noch, ob die Zeit danach mein Leben beeinträchtigte oder mit Energie auflud. In jenen Jahren kamen mir die Gewohnheiten und Zwänge des familiären Lebens abhanden, und als Folge davon verhielt ich mich später unentschlossen, als hätte ich zu schnell meine Freiheiten verausgabt. Jedenfalls bin ich nun in einem Alter, in dem ich darüber reden kann, wie wir aufwuchsen, beschützt von fremden Menschen. Und es ist, als würde man eine Fabel erläutern, die von unseren Eltern handelt, von Rachel und mir und dem Falter und auch den anderen, die später dazukamen. Vermutlich gibt es in solchen Geschichten typische Merkmale und Muster. Jemand muss die Prüfung bestehen. Niemand weiß, wer der Künder der Wahrheit ist. Menschen sind nicht die, für die wir Sie halten, und Sie sind auch nicht dort, wo wir sie vermuten. Und es gibt jemanden, der von einem unbekannten Ort aus auszieht. Ich erinnere mich, dass meine Mutter gern von jenen widersprüchlichen Bewährungsproben sprach, auf die in Artus-Legenden getreue Ritter gestellt wurden, und das sie uns diese Geschichten neu erzählte und sie manchmal in einem kleinen Dorf auf dem Balkan oder in Italien ansiedelte, Orten, an denen sie angeblich gewesen war und die sie uns dann auf der Landkarte zeigte.
Michael Ondaatje, 1943 in Sri Lanka geboren, lebt heute in Toronto. Mit seinem Roman Der englische Patient (Hanser, 1993), für den er den Man Booker Prize und zum 50-jährigen Jubiläum des Preises im Jahr 2018 den Golden Man Booker Prize erhielt, wurde er weltberühmt.
Michael Ondaatje: Kriegslicht. Aus dem Englischen von Anna Leube. Hanser Verlag 24€ und DTV 11.90€