Reinhard Kaiser-Mühlecker: Wilderer

Vor langer Zeit, am Ende der Kindheit, mit zwölf oder dreizehn, war etwas über ihn gekommen, das ihn nie mehr verlassen hatte seither, das Gefühl, aus dem Dasein verbannt worden zu sein, aber nicht ins Jenseits oder ins Nichts, sondern wie in ein Abseits, in dem er aber nicht wirklich weiterleben durfte. Am Fenster des Daseins: Dort saß er und wartete. So hatte er sich da auf einmal gefühlt, ausgestoßen… Ein Schatten hatte sich damals über ihn gelegt, von dem er nach bald zehn Jahren längst nicht mehr annahm, er werde je wieder weichen. Selbst dieses unverhofft verfügbare Geld der Großmutter und der damit möglich gewordene Stahlbau würden zwar so manches verändern, aber nicht sein Wesen, das ihm das Leben so oft vergällte oder so schwermachte, dass er sich den Tod, wie auch immer herbeigeführt, als die reinste Erlösung, ja fast als Belohnung vorstellte. Und war nicht auch das etwas zutiefst Religiöses, zumindest Katholisches? Solange der Tod aber nicht da war, musste er weitermachen, und das würde er immer tun, einsam und stur wie ein Esel, der, Gattungsmerkmal und evolutionärer Schutz, Schmerzen nicht zeigt, wie sie kürzlich gesagt hatten, er würde immer weitermachen, ohne gegen sein Schicksal aufzubegehren, das heißt, ohne sich noch einmal zu fragen, ob es anderswo, an einem anderen Ort, womöglich anders, nicht unbedingt besser, aber zumindest weniger schlecht wäre.

Reinhard Kaiser-Mühlecker wurde 1982 in Kirchdorf an der Krems geboren und wuchs in Eberstalzell, Oberösterreich, auf. Er studierte in Wien und führt die Landwirtschaft seiner Vorfahren. »Ich sehe es als eine Art Verpflichtung an, die Welt, die ich kenne, erfahrbar zu machen – einem, der sie nicht kennt.« Für sein Werk wurde Reinhard Kaiser-Mühlecker mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet.

Reinhard Kaiser-Mühlecker: Wilderer. S. Fischer Verlag 2022. 24€