Sepp Mall: Ein Hund kam in die Küche

Auf dem Platz hinter der Kirche spielten Kinder im Schatten der Häuser, die ich nicht kannte. Ich kannte ihre Namen nicht und wusste auch nicht, zu welchen Familien sie gehörten. Sie hatten Holzgewehre umgeschnallt, versteckten sich zwischen den dicken Stämmen der Buchen und ballerten von dort aus aufeinander. Dann liefen sie weiter, warfen sich zu Boden, hielten die Gewehre hoch und riefen sich gegenseitig zu, dass sie jetzt getroffen und tot waren.
Ein Junge, der vielleicht so alt war wie Hanno, zielte mit seinem Holzprügel auf mich, und als ich stehen blieb, rief er bumm, bumm. Dann lief er zurück zu seinen Kameraden und jubelte, dass er einen feindlichen Soldaten erschossen hatte.
Nein, hier an diesem Ort gab es keine Erinnerungen, die mir gehörten und die ich mit jemandem teilen konnte. Es würde bestimmt viele Jahre dauern, bis ich mit jemandem über Dinge lachen konnte, ohne alles erklären zu müssen. Und es war ein Irrtum gewesen zu glauben, dass wir überall bei uns wären, wo immer wir hingingen. Das sagte man zwar so, fiel mir in dem Augenblick ein, als der Junge mich mit seine Holzsalve tötete, aber so war es nicht. Wir waren nicht mehr bei uns, sondern ganz woanders.

Sepp Mall, 1955 in Graun (Südtirol) geboren, Studium in Innsbruck, lebt als Schriftsteller in Meran. Sein Werk wurde mit diversen Preise und Stipendien ausgezeichnet. Der Roman Wundränder wurde 2005 zum Innsbruck-liest-Buch gewählt und ist heute Schullektüre. Zuletzt erschienen sein Roman Hoch über allem (2017) und der Gedichtband Holz und Haut (2020).

Sepp Mall: Ein Hund kam in die Küche. Leykam Buchverlag, Graz 2023. 24 €