Sven Pfizenmaier: Draußen feiern die Leute

Wenige Straßen weiter wohnen auch Russen, also Deutsche, die aus Kasachstan eingewandert sind. Auch sie haben sich ein Haus mit angrenzender Garage gebaut. jeden Morgen fährt Sascha auf dem Weg zur Arbeit da vorbei, und jeden Morgen sitzt ein Mann in Jogginghose auf einer geschmacklosen Couch in der offenen Garage, die dermaßen mit Möbeln und Gerümpel vollgestopft ist, dass der schneeweiße Mercedes Vito gar nicht mehr reinpasst. Er steht vor dem Tor, am Außenrand des Grundstücks, damit Der Mann auf der Couch noch zur Straße gucken und die Hand zum Gruß heben kann, wemm ein Bekannter vorbeifährt. Sascha zum Beispiel. Der wirft tatsächlich allmorgendlich einen flüchtigen Blick in die Garage, wenn auch nur aus dem gleichen Grund, aus dem man sich immer wieder denselben Akrobatenstunt anguckt: Sascha kann nicht fassen, dass so etwas möglich ist. Pünktlich um 7:30 Uhr sitzt Der Mann auf der Couch mit einer dampfenden Kaffeetasse einfach nur da und guckt raus auf die Straße. Ab und zu hebt er die Hand. Sascha hat noch nie zurückgegrüßt.

Sascha und Der Mann auf der Couch kennen sich auch gar nicht wirklich. Nur ein einziges Mal hatten sie miteinander zu tun. Damals klingelte Der Mann auf der Couch plötzlich an Saschas Tür, unterm Arm einen Stapel behördlicher Anträge. Es hatte sich unter den Russen im Dorf, also unter den deutschen, die aus Kasachstan eingewandert sind, rumgesprochen, dass es da oben im neubaugebiet diese eine Familie gibt, die dazu in der Lage ist, mit dem Staat zu kommunizieren. Der Mann auf der Couch musste antrag auf Frührente stellen, nachdem er während seiner Mittagspause in einer Schweißerei beim Auslöffeln einer Kiwi abrutschte und sich den Teelöffel in den Handballen rammte. Sascha half ihm, der Antrag wurde genehmigt. Seitdem ist Der Mann auf der Couch das, was er heute ist.

Sven Pfizenmaier, geboren 1991 in Celle, studierte Deutsche und Englische Philologie in Berlin. Er war Kandidat beim open mike 2018 und Stipendiat der Literaturwerkstatt Graz 2020. Sein Roman Draußen feiern die Leute wurde mit dem Kranichsteiner Literaturförderpreis des Deutschen Literaturfonds ausgezeichnet und ist nominiert für den Klaus-Michael Kühne-Preis für das beste Romandebüt 2022. Sven Pfizenmaier wohnt in Berlin.

Sven Pfizenmaier: Draußen feiern die Leute. Kein & Aber, Zürich 2022. 24 €