Ulrich Rüdenauer: Abseits
Beim Essen verstummte er noch mehr, als er es sonst tat. Was vermutlich daran lag, dass ihm das Rot des Kleides vor Augen war und das Lachen des Kindes, der Regenbogen und der liebe Gott im Himmel. Er sah es nun in seinem Kopf. Drüben war es in der Stube. Aber eben noch gewaltiger und farbenreicher in seinem Kopf. Die Farben waren ein riesiger Lärm. Es verstummte zugleich in ihm, was er hätte sagen können. Er hörte die Stimmen der anderen, aber sie blieben draußen. Alles nahm er wahr wie ein Gemurmel, etwas, das keinen Sinn ergab, weil er nicht danach suchte. Er hätte nicht gemerkt, wäre von ihm die Rede gewesen. Vielleicht war von ihm die Rede. Vielleicht erzählte Anton von der Schule und dem Lehrer und wie freundlich der Lehrer zu seinem neuen Lieblingsschüler war. Kurz überlegte er, ob es das war, was er nicht hörte. Aber es waren das Rot und das heilig leuchtende Gold und das fahle Himmelsblau lauter als das Gerede am Küchentisch. Ganz bei sich, als wäre er einzig und allein, und er mochte es, dass niemand ihn erreichen, zu ihm gelangen konnte, weil er in diesem Bild, das er zum ersten Mal gesehen hatte, obwohl er es schon kannte, herumging.
Ulrich Rüdenauer, geboren 1971 in Bad Mergentheim, studierte Germanistik und Politikwissenschaften. Er arbeitet als Journalist für Zeitungen und Zeitschriften, als Autor und Regisseur für den Rundfunk, ist als Kulturveranstalter tätig und lebt in Berlin sowie in Süddeutschland. Abseits ist sein erster Roman.
Ulrich Rüdenauer: Abseits. Berenberg Verlag, Berlin 2024. 22 €