Walle Sayer: Das Zusammenfalten der Zeit

Porträtphoto

Nein, nicht so, so am Schreibtisch, als fändest du gerade einen Zufallsreim wie Lethargie und Liturgie. Auch nicht eingesunken im Cockpit deines Lesesessels. Und keines, das wirkt wie im Herbstlicht neben dem Ortsschild Orplidshausen. Keine Felsgrimasse und kein Zitruslächeln. Allein die Zeit ist dir davongelaufen, und um sie einzuholen, bist du stehengeblieben. Deshalb stehst du hier. Trägst deine altmodische Brille. Die mit der Gleitsicht auf Vergangenheit und Gegenwart. Schaust in das Wehmir dieses Tages. Schaust an allem vorbei. Als sähest du, den Blick dir daran schärfend, auf einen Torso, auf eine Ruine oder ein Wrack. Auf der Hintergrundlinie der leicht verschwommenen Fensterbank setzen wir einen unscheinbaren Fluchtpunkt. Vielleicht ein leeres Schneckenhaus aus deinem Garten. Weil es schweigend vom Zugtier der Langsamkeit spricht.

Das Tagesleck mit einem Satz abdichten: so lautet die Poetik von Walle Sayer. Seit fünfunddreißig Jahren veröffentlicht der in Horb am Neckar lebende „Schattenkundler und Vergänglichkeitskenner Walle Sayer“  (DIE ZEIT), Gedichte und Kurzprosa. In dieser Zeit ist ein Werk entstanden, das mit zahlreichen Preisen, u.a. mit dem Thaddäus-Troll-Preis und dem Basler Lyrikpreis, ausgezeichnet wurde.

Walle Sayer: Das Zusammenfalten der Zeit. Kröner Verlag, Stuttgart 2022. 22 €