
Pausenbrot
10.07.2019William Saroyans Texte sind Ansprachen. Ansprachen im Sinne von Mitteilung. Sie passen ganz ausgezeichnet in eine Kirche. Wenn ich sie lese, habe ich das Gefühl, sie sind aus dem ersten Satz hervorgegangen, etwa: „Ich nehme nicht an, dass du schon mal einen zweieinhalb Zentner schweren Filipino gesehen hast.“ Oder: „Ich hatte mir seit vierzig Tagen und vierzig Nächten nicht mehr die Haare schneiden lassen, und allmählich sah ich aus wie etliche arbeitslose Geiger.“ Seine Texte sind extemporiert, wie Jazz oder Improtheater, wo sich aus einer Melodie oder einem ersten Wort ein Lied, eine Geschichte entspinnt. Zur Mittagszeit gelesen von Marcel Hinderer und Heinzl Spagl öffnen sich mir seine Texte nochmals anders. Dadurch, dass ich mitten am Tag stillsitzen, die Augen schließen und zuhören darf, in einem Raum der auf Zwiegespräch ausgerichtet ist, wird mir klar, dass Sayoran seine Geschichten baut wie auf einer Bühne, ja, dass er sie im Augenblick des Schreibens vor sich sieht wie einen Film. Ich sehe die Figuren im Raum, höre die Ironie und den feinen Humor seiner Sprache. Ich sehe, wie Ramon Internationale im Ring steht, immer noch steht, als der Kampf längst schon entschieden wurde, sehe die fünfzig kleinen Filipinos, und vor allem das Pferd, das zuletzt mit im Ring ist, verängstigt, paralysiert, vielleicht ein wenig stolz, in jedem Fall aber überrascht, in eine Kurzgeschichte hineingeraten zu sein. Vielleicht ebenso überrascht wie die Dame in Izzyʼs Bar, die nach einem Fausthieb zu Boden geht, oder Al Condraj, der von einem Detektiv beim Stehlen eines Hammers erwischt wird. Jede Geschichte hat einen Dreh, eine Überraschung, etwas, mit dem man nicht gerechnet hat. Aber sie sind nicht auf diese Höhepunkte aus (auch wenn das Publikum des literarischen Pausenbrots sie mit einem Lachen goutiert), sie haben kleine, abseitige, stille Höhepunkte, sind warmherzig und lebensnah, weil sie eine alltägliche Welt einfangen, Petersiliengärten, Frisörsalons, den Kirchenchor. Seine Protagonisten sind Helden mit großen Ambitionen, leeren Hosentaschen und einnehmender Direktheit. „So hat uns der große Schöpfer in Seiner Einsamkeit und Verwirrung nun mal geschaffen. In Seiner übertriebenen Besorgnis hat er uns komplett vermurkst“, heißt es in einer Geschichte. Das ist gut so. Worüber sollte man sonst schreiben?
Iris Wolff