Zombies in der Buchhandlung?

16.03.2019

Lesungen in der Buchhandlung Schwarz sind oft Preziosen, die leider vom großen Publikum nicht wahrgenommen werden. Bei der Lesung von Matthias Nawrat war es erfreulich anders. Wenn sich in Buchläden so viel Menschen auf einmal reindrängen, erzeugt allein schon ihre Präsenz zwangsläufig ein utopisches Moment. Das hat noch gar nichts mit dem Grund der Ansammlung zu tun, sondern damit, dass die Buchkultur es oft nur als bedrohte Spezies in die öffentliche Wahrnehmung schafft. So wie früher Naturfilmer durch die Wildnis robbten, um den Moment einzufangen, wenn ein Erdhörnchen den Kopf aus dem Loch steckt, scheinen heute, wenn man den Grabreden aufs gedruckte Wort Glauben schenkt, Kulturjournalistinnen zwischen den Buchauslagen auf der Lauer zu liegen, um noch einmal freilaufende Leser dabei einzufangen, wie sie freiwillig ein Buch aus dem Regal ziehen.

Wenn dem so wäre, war die Lesung von Nawrat wohl so etwas wie die Nacht der lebenden Totgesagten. Lauter Buchzombies, übrigens auch viele Jüngere. Die Leseansteckung scheint also noch viral zu sein, es sei denn der Biss von Literaturzombies würde die Alterung stoppen. Aber dann wäre Lesen ja attraktiver als das Fitness-Studio.

Okay, Literatur kann zu schrägen Gedanken führen. Das vorgestellte Buch „Der traurige Gast“, war aber nicht ganz unschuldig daran. Die vorgestellten Figuren leben alle in einem seltsamen Transitzustand, irgendwie doppelbelichtet. Gute Idee, diese Dopplung auf dem Podium zu spiegeln und Matthias Nawrat mit Jens Steiner einen weiteren Schriftsteller als Gesprächspartner zu vermitteln, der auch gleich eine gemeinsame Problematik ansprach: Wann ist der richtige Moment, die eigene Familiengeschichte literarisch aufzuarbeiten? So ganz nebenbei gaben die beiden im Gespräch darüber ein gutes Beispiel dafür, dass Heimat nie identitär, sondern immer vielfältig zusammengesetzt ist – ob polnisch-fränkisch grundiert wie bei Nawrat, oder dänisch-schweizerisch wie bei Steiner. Gute Gespräche sollte man nicht beenden, sondern fortsetzen. In dem Sinne verrät Michael Schwarz, das beim nächsten Mal Matthias Nawrat das neue Buch von Jens Steiner vorstellen wird. Das Publikum kann dann ja auch Tandempartnerinnen mitbringen und so für noch mehr intime Nähe sorgen.

Von Jürgen Reuß