Attica Locke: Bluebird, Bluebird

Schon zum Ende der Amtszeit Obamas wurde Rassismus wieder ein wichtiges Thema in der Kriminalliteratur. Der üble Rückfall in alte Ressentiments und neu erstarkte weiße Überlegenheitsfantasien kündigten sich schon an. Nur mit dem Ausmaß konnte niemand rechnen. Immer das alte gleiche Lied sollte die Leserin und der Leser meinen, doch die Facetten und Auswüchse des Rassismus sind so spannend, unterschiedlich aber auch widerwärtig wie die Menschen selbst und leider auch so alt.
Sklaven, Gastarbeiter, Migranten. Inwiefern reichen die letzten 100-150 Jahre bis in die Gegenwart? Was in den USA diskutiert wird, spielt sich ähnlich auch in unseren Breiten ab. In wieweit sind Sinn,Verstand und Wahrnehmung schon auf dem Holzweg? Was kann Pop-Kultur ausrichten gegen Rassismus? Das fragen sich besonders amerikanische und britische Autoren.

Präziser als in Attica Lockes Kriminalroman „Bluebird, Bluebird“ geht es kaum: Wahrnehmungen, Gefühle und menschliche Reaktionen schildert die mehrfach ausgezeichnete Autorin mit höchster Genauigkeit. Das verleiht dieser traurigen Kriminal- und Liebes-Geschichte eine geradezu intime Authentizität. Geruchssinn und Gerüche spielen eine besondere Rolle, als wollte sie sagen, trau deinen Augen nicht und auch nicht dem alten Denken. „Bluebird, Bluebird“ – nach einem Song von Blues-Legende John Lee Hooker – spielt im Süden der USA, genauer in einer ost-texanischen, ländlichen Ecke unweit von Houston. 127 Seelen zählt das Nest namens Lark, Schwarze und Weiße leben dort – und doch nicht zusammen. Ein alarmirendes Rasse-Verbrechen scheint naheliegend, als ein fremder schwarzer Mann tot aus dem Fluß gezogen wird und ein paar Tage später eine einheimische blonde junge Frau. Doch selbst in dieser kleinen Gemeinschaft liegen die Dinge weitaus komplexer als es anfangs den Anschein hat. Das bekommt auch Darren Mathew zu spüren. Der Texas Ranger wurde vom Dienst suspendiert, nachdem er einem Freund zu Hilfe geeilt war, der von einem Mitglied der Arischen Bruderschaft bedroht wurde. Nun soll er sich rehabilitieren, die Angelegenheit ist heikel genug. Zwischen offenen Gewaltausbrüchen der Herrenmenschen und den Alles-halb-so-wild-Beteuerungen des örtlichen Sheriffs stößt der Ranger auf alte Geschichten, die ein anderes Licht auf die Gegenwart werfen. Locke inszeniert ihren Helden wie einen klassischen Cop mit Alkohol- und Eheproblemen. Doch die Tatsache, dass Darren Mathews ein Schwarzer ist, der auf seine Karriere als Anwalt verzichtet, um in seiner Heimat für Gerechtigkeit zu sorgen, macht aus dieser konventionellen Anordnung eine ganz besondere. Dass das nicht sein sollte, aber dennoch so ist, thematisiert dieser Roman sehr intensiv und spannend.

Attica Locke: Bluebird, Bluebird. Deutsch von Susanna Mende. Polar Verlag 2019. 20€.