Schwebend in eine verzauberte Sprache
von Walle Sayer
Anja Kampmann, geboren 1983 in Hamburg, Absolventin des Deutschen Literaturinstitutes in Leipzig, debütierte 2016 mit dem Gedichtband „Proben von Stein und Licht“ in der Edition Lyrikkabinett bei Hanser. 2018 erschien ihr Roman „Wie hoch die Wasser steigen“, der für den Preis der Leipziger Buchmesse und den Deutschen Buchpreis nominiert war und inzwischen in verschiedene Sprachen übersetzt wurde. Im Jahr 2019/2020 war sie Stadtschreiberin von Bergen-Enkheim. Sie gilt als ganz eigenwillige, unverwechselbare Stimme in der Gegenwartsliteratur, bei der die Sprache der Poesie auch in der Prosa immer spürbar ist.
Im Frühjahr 2021 erschien ihr zweiter Gedichtband „Der Hund ist immer hungrig“. Die Kritik bewundert an diesem neuen Band ihre Bildsprache, konstatiert eine unprätentiöse Eleganz, eine atonal vibrierende Schönheit. Komplexe Sätze seien es, aber keine hermetische Lyrik: Verse, die die Tiefe unseres Seins ausloten.
DANN fuhren wir im dunkeln und die paddel
nass und leise gurgelte die strömung gras nicht
schwärze war das große kraut am rand
wir fuhren ohne zutun so wie liebe spricht
als Flüstern eigentlich auch ohne dich und mich.
Der Sprachfluss wird durch kein Komma, keine Großschreibung gestört, damit die Sätze schweifen, mäandern, sich ihren eigen-melodischen Weg durch die Bedeutungs- und Erinnerungsschichten bahnen können.
Die Stoffe für ihre Gedichte finden sich in ihrer ganz eigenen Art von Weltbeobachtung. Die Beglaubigung eines literarischen Textes durch die Biographie des Autors interessiere sie nicht, betonte sie einmal. Und steht mit dieser Haltung dann „am Rand/ von diesem dorf das ohne namen bleiben soll/ für den moment“. Und sieht dabei „flächen, die gähnen und flächen, die man umgraben kann.“
Von „Marschland“ über „Mittweida im Januar“ bis hin zu „Atlantis“ betritt sie in ihren Gedichten Erinnerungsräume und leuchtet sie aus. Renekloden sind ihr genauso ein Gegenstand der Dichtung wie „Deep Blue“, der von IBM entwickelte Schachcomputer, gegen den Gary Kasparov verlor. Ihre Exkursionen führen zu einer Jagdszene im Hirschzimmer im Papstpalast von Avignon bis hin zum zweit-größten Frackinggebiet der Welt, das im kanadischen Bundesstaat Alberta liegt.
Wie nebenbei zeigt ihre Dichtung dabei auf, wie man im Gedicht erzählen kann. Das Erzählte braucht nur anerzählt zu werden und bekommt dabei nicht mehr Gewicht wie die poetische Erzählstimme, wie der Erzählton. Die Schwebe, in der etwas gelassen wird: „das lachen sollte klingen wie das gegenteil von weinen/ von zaghaft oder heulen“. Ein anderer, poetischer Umgang mit der Zeit hallt nach: „die mädchen die zukunft und alles was war“ .
Im Gedicht „in meiner Klasse“ schreibt sie: „dennoch: die apfelbäume blühten“, als erklinge darin ein Echo an auf diesen Vers von Rainer Malkowski, dessen nach ihm benannten Preis sie für ihren neuen Gedichtband in diesem Jahr erhielt: Dennoch: ein schönes Wort, der Geist, in dem man Verse macht.
In ihrer Dankesrede zu diesem Preis, den ihr die Bayrische Akademie der Künste verlieh, umriss sie ihre Poetik mit einem leuchtenden Satz: Jedes Geschichte, sagte sie, bilde sich auf den Obertönen der Realität; diese Realität solle ein Sänger, ein Dichter verwandeln, verdichten, in das Andere, Schwebende in eine verzauberte Sprache.
Anja Kampmann: Der Hund ist immer hungrig. Gedichte. Hanser Verlag, München 2021. 120 Seiten, 20 Euro
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