Liebe Freundinnen und Freunde der Buchhandlung Schwarz,

in der Septemberausgabe unseres Newsletters möchten wir Sie auf die am Sonntag, 19. September im Literaturhaus beginnende Ausstellung und Veranstaltungswoche – CAFÉ Ü – IN FREIBURG ÜBERSETZT –  hinweisen, und Ihnen stellvertretend zwei in Freiburg lebende Übersetzer:innen vorstellen: Beate Thill, in Form einer Buchvorstellung des von ihr übersetzten Schriftstellers Dany Laferrière, und Tobias Scheffel, der sich mit Jürgen Reuß über die Tücken des Übersetzens von Kinderbüchern unterhalten hat. Beate Thill ist Übersetzerin des kongolesischen Lyrikers Tchicaya U Tam’si, des karibischen Autors Édouard Glissant, des Tunesiers Abdelwahab Meddeb und der Algerierin Assia Djebar.

Tobias Scheffel hat unter anderem von Robert Bober, Gustave Flaubert, Viviane Forrester, Marie-Aude Murail, Pierre Lemaitre und Fred Vargas aus dem Französischen übersetzt.

 

Wir wünschen Ihnen anregende Lektüre.
Ihre Buchhandlung Schwarz

 

Authentizität ist eine Obsession oder Wie japanisch ist ein Japaner?


Durchs übersetze Bücherjahr mit … Dany Laferrière

von Jürgen Reuß

In seinem Buch „Ich bin ein japanischer Schriftsteller“ erzählt Dany Laferrière, dass er auf die Frage „Sind Sie ein haitianischer, karibischer oder frankophoner Schriftsteller?“ antworte, dass er immer die Nationalität des Lesers annehme. Bin ich als Schwedischübersetzer also nur Deutscher, weil mich Deutsche lesen? Und wenn mich Schweizer lesen? Und wenn mich Schweden, die Deutsch können, lesen? Bin ich dann ein schwedischer Übersetzer?

Das mag albern oder belanglos klingen, führt tatsächlich aber mitten ins Herz der aktuellen Identitäts- und Diversitätsdiskurse und auch mitten ins Herz des Übersetzens, denn wer übersetzt, schwimmt qua Beruf immer zwischen solchen Zuschreibungen. Dem Schriftsteller geht das, wie Laferrière schreibt und Beate Thill übersetzt hat, genauso. Und je länger man darüber nachdenkt, desto sympathischer kann einem Laferrières Fazit werden: „Im Grunde langweilen mich diese Geschichten um Authentizität zu Tode.“

Was macht Laferrière, wenn er sich langweilt? Er beginnt zu spielen, schreibt einen Roman darüber, dass er gar keinen Roman schreibt, sondern nur aller Welt mitteilt, dass der Titel seines neuen Romans „Ich bin ein japanischer Schriftsteller“ heißen wird. Um Titel ist Laferrière nie verlegen, mit seinem Verleger überlegt er, ob für den neuen Roman nicht eine Banderole „Der Schnellste im Titeln“ angemessen wäre. Ist der Titel nicht das wichtigste? Kommentare zu seinen Büchern, behauptet er, „beziehen sich zu 90% auf den Titel.“ Kein Wunder, wenn der Erstling „Comment faire l’amour avec un nègre sans se fatiguer“ betitelt ist, den Beate Thill als „Die Kunst, einen Schwarzen zu lieben ohne zu ermüden“ übersetzt. Außerdem ist sein Verleger anders, stellt nicht „solche idiotischen Fragen“ wie „Worum geht es?“

Alle anderen, vom griechischen Fischhändler des Ich-Erzählers bis zur japanischen Botschaft, haben schon Fragen an ihn und wollen Einfluss nehmen. Angefangen mit „Dürfen Sie das überhaupt?“ bis dahin, dass in Japan ein Sekundärwerk erscheint, bevor der Autor eine Zeile geschrieben hat. Ein Koreaner, den er um Inspiration für Japanisches bittet, empfiehlt ihm das Kamasutra. „Das ist Indien.“ „Ich weiß, aber alle Welt denkt, es sei japanisch.“ Also schafft der Autor sich selbst eine Mangawelt in seinem heimischen Montreal, für die er in einem Riesenstapel Illustrierter recherchiert, und wobei „das Problem mit der Identität des Ausländers ist, dass sie nichts sein darf außer Folklore“.

Es macht großen Spaß, Laferrière durch diesen Roman über einen ungeschriebenen Roman zu folgen, der sich im Grunde Identität am liebsten dadurch nähert, sich vorzustellen, „dass die Schriftsteller zu einer geächteten Rasse gehören, die ihr ganzes Leben auf der Welt umherirrte und in allen Sprachen ihre Geschichten erzählte“. „Au wei!“, weiß aber auch der haitianische, karibische, frankokanadische, Académie française-Schriftsteller, „Da drüben sind sie gerade mitten in einer großen Identitätsdebatte.“ Und tröstet sich mit: „Es gibt bestimmt noch andere Bücher zu kaufen.“ Trotzdem oder gerade deswegen ist Laferrières Buch eine wunderbare Ergänzung zur Podiumsdiskussion im Café Ü am 24. September zum Thema Diversität und literarisches Übersetzen.

Dany Laferrière: Ich bin ein japanischer Schriftsteller. Aus dem Französischen von Beate Thill. Wunderhorn Verlag, Heidelberg 2020. 200 Seiten, 22 Euro.

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Glücksmoment des Übersetzens


Der Freiburger Tobias Scheffel übersetzt nicht nur Kinder- und Jugendliteratur, wurde dafür aber 2008 mit dem Deutschen Jugendliteraturpreis ausgezeichnet und erhielt 2011 den Sonderpreis des Deutschen Jugendliteraturpreises, um sein Gesamtwerk als Übersetzer zu würdigen. Auch in diesem Jahr hat er mit Yvan Pommaux: Ödipus – das Findelkind, Moritz Verlag, 48 Seiten, 18 Euro, ab 8 Jahren und Kitty Crowther: Kleine Gutenachtgeschichten, Kunstmann, 74 Seiten, 15 Euro wieder zwei Bilderbücher übersetzt. Bevor man ihn ab Mitte September regelmäßig im Café Ü antreffen kann, hat er mit Jürgen Reuß für die Lesezeit einen Kaffee getrunken.

Tobias, du übersetzt ja auch Autoren wie Georges Perec, Robert Bober oder Albert Camus. Sind Kinderbücher dann eine Art Entspannung für dich?

Gerade Bilderbücher wirken immer so, als wären sie einfach. Tatsächlich haben sie in der Regel wenig Text. Das hat übersetzerisch durchaus etwas Entspannendes. Zwei Sachen können dennoch anspruchsvoll und vertrackt sein. Zum einen muss der Text ins Layout passen, beim Übersetzen wird der Text aber häufig länger, beim Übersetzen aus dem Französischen etwa um 10%. Da muss man manchmal ein bisschen basteln. Zum anderen erzählt nicht nur der Text, sondern auch das Bild. Also muss man aufpassen, nicht mehr zu sagen als das Original verrät, oder etwas hinzuschreiben, was das Bild widerlegt. Vor Jahren hatte ich einmal versehentlich einem Wolf einen Zahn angedichtet. Hätte ich mir die Bilder aufmerksam anschauen können, wäre mir aufgefallen, dass er gar keinen Zahn mehr hatte. Kindern fällt so ein Fehler sofort auf.

Warum hast du dir die Bilder nicht angeschaut?

Heute passiert so etwas kaum noch, da man in der Regel eine Druckvorlage des Originals bekommt, also auch alle Bilder anschauen kann. Aber früher bekam man manchmal nur den zu übersetzenden Text geliefert, oder die Bilder wurden in schlechter Qualität gefaxt. Ich erinnere mich an das Bilderbuch „Akim rennt“, eine Geschichte über ein Flüchtlingskind. Da kam „un médecin“ vor, den ich als „Arzt“ übersetzt habe. Es hätte auch eine Ärztin sein können, da im Französischen in diesem Fall immer das generische Maskulinum verwendet wird. Die Gestalt auf dem Bild war für mich ein hagerer Typ mit Pferdeschwanz. Nur taucht diese Person in späteren Bildern nochmals auf, und man sieht, dass es doch eine hagere junge Frau ist. Von diesem Buch gibt es inzwischen zwei Versionen, weil der Fehler in der zweiten Auflage korrigiert wurde.

Worauf achtest du noch besonders, wenn du Kinderbücher übersetzt?

Darauf, dass es Bücher sind, die vorgelesen werden. Man sollte also stärker als sonst das, was man übersetzt hat, laut lesen. Als noch Kinder im entsprechenden Alter um mich herum waren, habe ich ihnen auch gern mal zur Probe vorgelesen. Natürlich muss man auch drauf achten, dass man für Menschen übersetzt, die noch nicht viel Leseerfahrung haben, man darf also nicht zu kompliziert werden. Aus dem Französischen bietet es sich ja manchmal an, ein ähnlich klingendes Wort zu nehmen, das im Deutschen aber eher ein weniger geläufiges Fremdwort wäre.

Die Sätze in Kinderbüchern sind oft so kurz wie in Gedichten. Braucht man eine lyrische Ader?

Die kann in jedem Fall nicht schaden. Bei Kinderbüchern finde ich schön, dass es eine Abwechslung in der Arbeitsweise ist, die tatsächlich der Gedichtübersetzung ähneln kann. Auch bei meinen anderen Übersetzungen grübele ich schon öfter mal zwei Stunden über zwei Sätze nach, aber in der Regel tu ich das nicht. Im Kinderbuch nehme ich mir den Luxus, und das zahlt sich meiner Meinung nach auch aus.

Mal zu einem deiner aktuellen Bücher nachgefragt: Welches Kind interessiert sich eigentlich für Ödipus?

Grundsätzlich findet ein schönes Buch seinen Weg, glaube ich. Es gibt ja auch Bilderbücher für Erwachsene oder in diesem Fall vergessliche Altphilologen. Aber Spaß beiseite: Sagen sind etwas, was sich Menschen immer wieder erzählen, nicht nur unter Psychoanalytikern. Der Autor und Illustrator Yvan Pommaux hat eine ganze Reihe von Sagen neu erzählt und macht das ganz geschickt, indem er die Geschichte in eine Rahmengeschichte einpackt. So fragen die Kinder zu Beginn ihren Großvater nach der allerschrecklichsten, allerfurchtbarsten Geschichte von allen. Und was ist schrecklicher als die Sage von Ödipus?

Und was hat dich an den Kleinen Gutenachtgeschichten gereizt?

Das etwas Skurril-Verschrobene der Autorin und Illustratorin. Dazu passt auch das besondere Rosa. Ich bin kein großer Fan von Rosa und Hellblau, aber dieses Rosa ist so gar nicht kitschig. Es ist wie meine Lektorin es beschreibt: „Kitty Crowther macht ein Rosa, das will was!“

Gab‘s besondere Schwierigkeiten?

Wenn ich jetzt meine deutsche Version so durchblättere und mich nicht mehr erinnere, wo da die Schwierigkeiten waren, ist das so ein Glücksmoment für mich als Übersetzer.