Jacques Poulin: Volkswagen Blues

Seit vier Stunden waren sie auf der Interstate 70 unterwegs und bereits kurz vor Kansas City. Das Mädchen saß am Steuer. Da die Strecke eintönig und schnurgerade war, fuhr sie sehr entspannt, die Unterarme auf dem Lenkrad.

Jack war vertieft in eine Karte von Kansas City, suchte nach den Campingplätzen, die in der Broschüre des Automobilclubs aufgeführt waren.

„Okay“, sagte er, „ich sage Ihnen ein paar Dinge. Wenigstens wer ich’s versuchen… Erstens: In dem Alter, in dem man sonst so richtig zu leben anfängt, habe ich zu schreiben angefangen und nicht mehr damit aufgehört, und das Leben ging inzwischen weiter. Manche Leute sagen, Schreiben sei auch eine Art zu leben; ich glaube, es ist auch eine Art, nicht zu leben. Ich meine, man zieht sich in ein Buch zurück, in eine Geschichte, und man achtet nicht darauf, was um einen herum vorgeht, und eines schönen tages verlässt einen der Mensch, den man am meisten liebte auf der Welt, wegen eines anderen, von dem man vorher nie auch nur gehört hat. Zweitens … “

Er sah noch eine letzte Sache auf der Karte nach, dann faltetet er sie ein und verstaute sie im Handschuhfach.

„Zweitens: Es ist sehr gut möglich, dass ich im ganzen Leben nie jemanden wirklich geliebt habe. Eine traurige Vorstellung, aber ich glaube, es stimmt. Und ich glaube sogar, ich liebe weder das Leben noch mich selbst.“

„Vielleicht lieben Sie ja Ihre Bücher?“, schlug das Mädchen vor.

„Nein.“

„Wieso?“

„Die ändern nicht die Welt“, erklärte er entschieden.

„Müssen Sie das denn?“, fragte sie.

„Natürlich. Wozu sollten sie sonst gut sein?“

Jacques Poulin wurde 1937 in Saint-Gédéon-de-Beauce (Québec) geboren. Er studierte Psychologie und arbeitete als Übersetzer, bevor er sich ganz dem Schreiben widmete. Poulins mehrfach ausgezeichnetes und in zahlreiche Sprachen übersetztes Werk umfasst vierzehn Romane. Volkswagen Blues (1984) ist sein bekanntestes, mehrfach preisgekröntes Buch und ein moderner Klassiker der frankokanadischen Literatur.

Jacques Poulin: Volkswagen Blues. Aus dem Französischen von Jan Schönherr. Hanser Verlag 23€