Claire Keegan: Das dritte Licht

Ich wache an dem neuen Ort mit dem alten Gefühl von Hitze und Kälte auf, beides zugleich. Mrs Kinsella bemerkt es erst später am Tag, als sie das Bett macht.

»Allmächtiger Gott«, sagt sie.
»Was?« 

»Siehst du´s nicht?«, fragt sie.

»Was?« 

Ich möchte es ihr auf der Stelle sagen, es zugeben und nach Hause geschickt werden, damit die Sache ein Ende hat.


»Diese alten Matratzen«, sagt sie, »die weinen ja. Andauernd weinen sie. Was hab ich mir nur dabei gedacht, dich auf so einer Matratze liegen zu lassen?« 
Wir schleifen sie die Treppe hinab, auf den sonnenbeschienenen Hof. Der Jagdhund kommt herbei, er beschnüffelt sie und will schon das Bein heben.

»Hau ab, du!«, ruft sie mit eisener Stimme.

»Was ist los?« Kinsella ist von den Feldern zurückgekommen.

»Es ist die Matratze«, sagt sie. »Das verdammte Ding weint. Hab ich nicht gesagt, dass es im Zimmer feucht ist?«
»Stimmt«, meint er, »hast du. Aber hättest das Ding nicht allein die Treppe runterschleppen sollen.« 

»Ich war ja nicht allein«, sagt sie. »Ich hatte Hilfe.« 

Wir schrubben die Matratze mit heißem Wasser und einem Reinigungsmittel ab und lassen sie in der Sonne trocknen.

»Das ist ja schrecklich«, sagt sie. »Ein ganz schrecklicher Anfang. Nach alldem brauchen wir ´ne Scheibe Speck, glaub ich.« 


Claire Keegan, geboren 1968 in Irland, wuchs auf einer Farm auf. Sie studierte Anglistik und Politikwissenschaft in New Orleans und später Kreatives Schreiben in Cardiff. Für ihre Erzählungen erhielt sie zahlreiche Preise, darunter den William Trevor Award und den Rooney Prize. Sie lebt in der Grafschaft Wexford, Irland. 


Claire Keegan: Das dritte Licht. Aus dem Englischen von Hans-Christian Oeser. Unionsverlag 9,95€