Olivia Wenzel: 1000 serpentinen angst
Als wir Kinder waren, nannte uns Oma Rita gern liebevoll ihre Schokokrümel. Auch heute sagt sie das noch manchmal. Ich habe schon öfter versucht, ihr zu verdeutlichen, dass der Vergleich meiner Haut mit Schokolade neben ihrer Zuneigung vor allem zeigt, dass sie ihre eigene Hautfarbe als Selbstverständlichkeit sieht, von der meine Haut abweicht. Ansonsten müsste sie sie nicht immer wieder benennen, ansonsten hätte sie auch auf die Idee kommen können, meinen Opa zu Lebzeiten mit mein süßes Raffaellobällchen oder ihre eigenen Töchter mit meine lieben hartgekochten, ordentlich geschälten Eier anzusprechen. Doch sie beharrt darauf, dass sie Schokokrümel sage, weil sie ja meine Haut besonders schön fände.
Olivia Wenzel, 1985 in Weimar geboren, Studium der Kulturwissenschaften und ästhetischen Praxis an der Uni Hildesheim, lebt in Berlin. Sie schreibt Theatertexte und Prosa, machte zuletzt Musik als Otis Foulie. Wenzels Stücke wurden u.a. an den Münchener Kammerspielen, am Hamburger Thalia Theater, am Deutschen Theater Berlin und am Ballhaus Naunynstraße aufgeführt. Neben dem Schreiben arbeitet sie in Workshops mit Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen. In der freien Theaterszene kollaboriert sie als Performerin mit Gruppen wie vorschlag:hammer. »1000 serpentinen Angst« ist ihr erster Roman.
Olivia Wenzel: 1000 serpentinen angst. Fischer Verlag 21€