Shida Bazyar: Drei Kameradinnen
Zwei Stunden später hatten wir den Pegel, den ich mir jetzt gerade wünschen würde, und unser dreckiges Lachen hallte in den leeren Straßen unter uns. Die Stadt tat, als wäre sie friedlich. Vom Dach aus wirkte sie wie ein behüteter, stiller Ort. Es war ganze sechs Jahre her, dass wir uns das letzte Mal gemeinsam auf einem Dach dieser Stadt betrunken hatten. Auf einem anderen Dach, in einer Silvesternacht, und selbst da war alles merkwürdig andächtig und friedlich gewesen. So friedlich, dass wir damals nichts gegen das in der Ferne tosende Feuerwerk hatten und auch nicht mitleidig an traumatisierte Kriegsgeflüchtete, Kriegsrentner und verstörte Hunde dachten, die angsterfüllt in ihren Wohnungen saßen, während alle anderen um sie herum einen Kriegslärmpegel imitierten, weil sie sich sonst nie gehen lassen durften. Vielleicht hatten wir aber auch deswegen kein Mitleid, weil in dem Stadtteil, indem wir damals feierten, ohnehin keine Geflüchteten und keine Rentner mehr wohnten und sich unser Mitgefühl für die Hunde der Hipster in Grenzen hielt. Sechs Jahre ist es her, dass wir Silvester überhaupt zusammen und nicht mit neuen Freundeskreisen, neuen Partnern oder Partner-Freundeskreisen feierten, sondern ganz selbstverständlich miteinander, auf dem Dach meiner damaligen WG. Und ganz selbstverständlich saßen wir jetzt zusammen, als wäre seitdem kein Tag vergangen.
Shida Bazyar, geboren 1988 in Hermeskeil, studierte Literarisches Schreiben in Hildesheim und war, neben dem Schreiben, viele Jahre in der Jugendbildungsarbeit tätig. Ihr Debütroman »Nachts ist es leise in Teheran« erschien 2016 und wurde u.a. mit dem Bloggerpreis für Literatur, dem Ulla-Hahn-Autorenpreis und dem Uwe-Johnson-Förderpreis ausgezeichnet und in mehrere Sprachen übersetzt.
Shida Bazyar: Drei Kameradinnen. Kiepenheuer & Witsch 2021. 22 €